Unser Interview mit Joja Wendt

Joja Wendt im Interview: Mit Haut und Haaren Musiker

Mein ganzes Leben klingt aus dem Klavierspiel.

Joja Wendt im Interview mit myeventradar.de

Joja Wendt ist einer der erfolgreichsten deutschen Live-Pianisten und hat auf den Bühnen der ganzen Welt gespielt. Momentan kann man kaum einen Buchladen betreten, ohne sein Gesicht dort zu sehen. Während der Konzertpause ist er von den Klaviertasten zur Computertastatur übergegangen und hat in seiner neu erschienenen Biografie auf sein Leben voller Musik zurückgeblickt. Mit erfrischender Ehrlichkeit erzählt Joja Wendt von seiner Kindheit, seinem beruflichen Werdegang und prägenden Begegnungen in fernen Ländern wie Ägypten, China und Uganda.

Wir haben den Erfolgsmusiker, der Jazz, Klassik und hohe Spielkunst mit Entertainment verbindet, in ein Gespräch verwickelt. Dabei haben wir über die Höhen und Tiefen seiner Karriere, Ping Pong auf dem Klavier und die anstehende Tour gesprochen.

myeventradar.de im Gespräch mit Joja Wendt

Sie haben die Konzertpause durch die Corona Pandemie genutzt, um Ihre Biografie zu schreiben. Wie kam es dazu? Hatten Sie diese Idee schon länger?
Während Corona habe ich erstmalig so richtig Zeit gehabt. Alle Konzerte waren abgesagt, man konnte nicht reisen. Hier in Hamburg war sogar Ausgangssperre. Da habe ich erstmal die Vision verloren, warum ich das alles hier überhaupt mache. Ich kann nicht sagen, dass ich besonders viel Klavier geübt hätte. Man räumt erstmal den Keller auf und sortiert Noten, macht all die Dinge, die sowieso über die Jahre liegen geblieben sind. Und dann, ab einem gewissen Punkt, lässt man das Leben ein bisschen Revue passieren. Die Pandemie ist ja schon eine Zäsur gewesen und da kann man dann ruhig einmal den Blick zurückrichten.
Dabei sind mir dann viele sehr unterhaltsame, sehr lustige Geschichten eingefallen, die einem international spielenden Pianisten passieren, die ein gewisses Lebensgefühl transportieren und die nicht so alltäglich sind für Leute, die den Beruf nicht haben. Zusammen mit Dr. Priska Jones, die früher für Presse und Promotion bei der DEAG zuständig gewesen ist, habe ich alles gesammelt und überlegt: „Sag mal, wie war das noch? Und wann war das?“ Und während dieses Prozesses ist aus den Geschichten, die ich eigentlich nur sammeln wollte, eine Biografie geworden, ohne dass ich das ursprünglich geplant hätte.
Eine dieser Geschichten ist dabei ganz besonders präsent. Gleich im ersten Kapitel Ihrer Biografie beschreiben Sie ein regelrechtes Albtraum-Szenario, den Autounfall, bei dem Sie sich die Hand so schwer verletzten, dass es beinahe Ihre Karriere beendete. Wie kam es zu der Entscheidung, ausgerechnet an diesem Punkt anzufangen?
Dieser Moment war der 'turning point', nicht nur in meiner Karriere, sondern auch in meinem Leben. Ich war damals 27 Jahre alt und habe das Leben noch sehr leichtgenommen. Ich bin viele Dinge sehr spielerisch angegangen. Das ist nicht das Schlechteste. Man lernt spielerisch schneller, man entwickelt sich besser. Das Lernen ist nicht so zwanghaft, sondern natürlicher. Aber es kommt der Moment, wo man all die Möglichkeiten und das Potential, das man hat, kanalisieren und in Disziplin verwandeln muss.
Ich werde so oft angesprochen von Leuten, die sagen, ich hätte so viel Glück gehabt. Und ich wollte auch ganz bewusst mal zeigen, dass ich auch richtige Tiefpunkte in meinem Leben hatte. Zeiten, in denen ich gar nicht sicher war, ob es überhaupt noch weiter geht. Keiner wusste, ob ich je wieder Klavierspielen kann – zumindest auf dem Niveau. An diesem Punkt habe ich angefangen, wirklich hart zu arbeiten. Ich habe mit Haut und Haaren alles gegeben, was ich hatte und mein Leben komplett darauf ausgerichtet, dass das wieder in Ordnung kommt. Und das hätte ich vielleicht nicht gemacht und es wäre auch nicht notwendig gewesen, wenn ich diesen Unfall nicht gehabt hätte. Deshalb steht dieser Moment am Anfang. Außerdem hat der Leser dann gleich einen dramatischen Einstieg in die Geschichte und denkt sich: „Oh, das liest sich ja wie ein Krimi.“
Danach machen Sie klassisch da weiter, womit andere vermutlich beginnen würden. Bei Ihrer Kindheit. Die ist nämlich auch der Ursprung Ihres Buchtitels: „Spiel doch mal leiser!“ Ein Satz, den sicher jeder Musiker schon mal von der Familie oder den Nachbarn gehört hat.
Ja, das zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben eines jeden Musikers. Aber es soll auch ein wenig im übertragenen Sinne gemeint sein. Es wird immer Leute geben, die dir sagen, wie du die Dinge zu machen hast. Und der Untertitel des Buches lautet ja „Warum es gut war, dass ich darauf nicht gehört habe“. Wenn man authentisch und am Ende auch erfolgreich sein will, eine eigene Vision hat und fühlt, was für einen richtig ist, dann muss man diesem Weg folgen.
Meine Mutter hat zu mir zum Beispiel gesagt: „Spiel nicht irgendwo im Hintergrund. Mach dein Ding und dann musst du das auch ganz klar adressieren an die Leute, die du erreichen willst.“ Und das bedeutet, dass man dann eben laut herausgeht und sich nicht versteckt.
Mein Vater sagte: „Du musst springen!“ Springen und zwar sehenden Auges. Wenn du was erreichen willst, dann musst du rausgehen, dann musst du andere Leute kennenlernen und deine Komfortzone verlassen. Ich selbst musste sehen, wie ich meinen Horizont immer wieder erweitere, und irgendwann sagen: „Ich will jetzt eine Solo-Karriere machen“. All das steckt in diesem Titel: „Spiel doch mal leiser!“
Zu springen heißt dann im Grunde ja nichts anderes, als für die Möglichkeiten bereit sein. Wenn man, so wie Sie, zum Beginn seiner Laufbahn Joe Cocker in der Kneipe trifft und das zu dem ersten großen Auftritt führt, darf man vermutlich keine Sekunde zögern, sonst ist die Chance vertan.
Klar, war es Glück, dass er reinkam. Aber jeder hat mal das Glück, einen großen Star hautnah zu erleben. Das Wichtige war aber, dass ich bis dahin meine Hausaufgaben gemacht hatte und dass ich das spielen konnte, was ihm gefallen hat. Sonst hätte ich mir maximal ein Autogramm holen können. Dann hätte ich jetzt ein tolles Autogramm von Joe Cocker, hätte aber nie mit ihm zusammen auf der Bühne gestanden. Du musst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass dir das Glück begegnet, und wenn es dir dann begegnet, solltest du auch zugreifen.
Angst hatten Sie dann kurz vor dem Auftritt aber doch. In der Biografie schildern Sie das ganz genau. Ein Hin und Her zwischen Selbstzweifel und Selbstbehauptung, womit sich sicher jeder identifizieren kann, der vor großen Aufgaben steht.
Genau, man muss sich irgendwann behaupten und das Risiko eingehen, zu scheitern. Dabei hilft es, wenn man ein klares Ziel vor Augen hat. Klar, es geht nun mal nicht immer alles glatt. Was hatte ich für eine Angst, das erste Mal vor so vielen Leuten zu spielen. Ich dachte: „Warum setze ich mich bloß diesem Stress aus? Jetzt bewerfen die mich gleich mit Tomaten.“ Im Rückblick ist das alles super gelaufen, es hätte allerdings auch richtig schief gehen können. Aber nur so hat man die Chance, auch mal richtig was zu reißen. Und das habe ich eben nicht dadurch geschafft, dass ich darauf gehört habe, wenn es hieß: „Spiel doch mal leiser!“
„Leise spielen“ lässt sich auch nicht damit vereinbaren, durch die Musik Emotionen auf die Bühne zu bringen.
Stimmt, das Schöne an Musik ist, dass sie Emotionen transportiert, Emotionen verstärkt. Es gibt kein Naturvolk, das ohne Musik auskommt. Das scheint ein Grundbedürfnis des Menschen zu sein. Und was für mich das Wichtigste ist, Musik ist eine internationale Sprache. Das heißt, ich kann auf der ganzen Welt spielen und alle verstehen, was ich sagen will. Humor transportiert sich im Übrigen genauso.
Humor spielt bei Ihren Auftritten schließlich auch immer eine große Rolle. Aber eigentlich sagt man verschiedenen Nationen, Kulturen oder Regionen doch auch ein unterschiedliches Humorverständnis nach. Für Sie ist Humor genauso universell wie die Musik?
Es gibt natürlich für jedes Land, für jede Region, bestimmte Schlüssel, die dann besser funktionieren. In China zum Beispiel wäre ich nie bekannt geworden, wenn ich nicht auf dem Flügel Ping Pong gespielt hätte. Einmal ist das Klavierspielen dort ein großes Thema, auch was die Erziehung angeht, und zum anderen sind Ping-Pong-Spieler in China Helden und Idole. Das zu kombinieren und auf dem Flügel Ping Pong zu spielen, das ist einfach für China die beste Idee gewesen. Ob das nun in Spanien auch so gut funktioniert hätte, weiß ich nicht. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass musikalische Gags, die ohne Sprache auskommen, allgemeingültig sind. Das ist für mich als Instrumentalist natürlich super.
Haben Sie sich zu Beginn Ihrer Karriere für diese Mischung aus Musik und Humor Vorbilder gesucht?
Ja, es gab Vorbilder. Inzwischen habe ich meinen eigenen Stil gefunden, aber damals war da zum Beispiel Victor Borge. Das ist ein fantastischer dänischer Pianist gewesen, der in Amerika den Status von Loriot gehabt hat. Er beherrschte sein Handwerk exzellent und hatte deshalb die Möglichkeit, das Spielen auch mal zu unterbrechen und lustige Sachen zu machen. Man muss wissen, in welchen Bereichen man unanfechtbar gut ist und sich auf sein Handwerk verlassen können. Das habe ich von Victor Borge gelernt. Es gibt ein paar Dinge, die ich einfach besonders gut auf dem Klavier spielen kann. Da weiß ich, ich bin einer der Weltführenden in diesem Genre, da macht mir keiner was vor.
Das kann man bald ja wieder live erleben. Im September 2021 gehen Sie wieder auf große Stars on 88 Part II - Tour.
Ja, endlich! Ich freu mich sehr, dass es wieder los geht und ich endlich wieder spielen kann. Es ist für mein ganzes Leben einfach notwendig, dass ich auf der Bühne spiele.
Wir sprachen eben vom Lampenfieber. Kommt das nach einer so langen Pause wieder auf oder siegt da doch die jahrelange Routine?
Oh ja, ich hatte großen Respekt davor, jetzt wieder auf die Bühne zu gehen. Letztens bin ich mal wieder bei einem großen internationalen Musikfestival aufgetreten. Da kann man nicht einfach sagen: „Ich probiere nach 1,5 Jahren mal wieder ein bisschen rumzuklimpern.“ Ich glaube aber, dass die Routine in dem Moment wieder kommt, wo ich wieder mehr spielen kann. Dafür bin ich einfach lange genug dabei.
Gott sei Dank hat mich die Anspannung aber nie paralysiert, sondern sorgt dafür, dass ich fokussierter, klarer und konzentrierter bin. Es gibt aber eben auch Musiker, die unter sehr hohem Druck keine optimalen Leistungen erbringen. Und es ist ein immens hoher Druck. Diesen Beruf zu wählen, ist eigentlich Harakiri. Dessen muss man sich bewusst sein. Die Konkurrenz, vor allem international, ist so groß. Gerade junge Musiker werden sehr durch Virtuosität und Fehlerlosigkeit definiert. Aber am Ende spielen eben auch andere Dinge wie Disziplin und Durchhaltevermögen eine große Rolle. Bei mir hilft da die Lebenszeit. Mein ganzes Leben klingt aus dem Klavierspiel.
Durchhaltevermögen beschreibt die letzte Zeit wohl auch sehr gut. Ihr Programm für die Tour steht durch die Pause schon eine Weile. Hat sich in der freien Zeit etwas daran geändert? Was darf das Publikum erwarten?
Stars on 88 steht ja synonym für all das, was Hits sind, auch meine persönlichen Hits. Im Zuge dieses Programms habe ich das erste Mal Pop-Hits bearbeitet, das kommt wieder im Programm. Ansonsten bleibt es ein sehr unterhaltsames, humorvolles Joja-Wendt-Konzert, wie man es kennt, mit einer großen Bandbreite an Musik aus der Klassik, dem Jazz und dem Pop-Bereich. Dazu kommen natürlich Eigenkompositionen und originale Kompositionen. Die klassischen Stücke sind auch wie immer auf meine Art und Weise bearbeitet. Und viel entwickelt sich bei mir ja auch interaktiv. Das jeweilige Publikum bestimmt so auch ein bisschen den Verlauf des Konzerts. Das erwartet die Leute und die, die mich kennen, wissen das auch zu schätzen.
Gab es in dem Programm Stücke, die schwerer zu interpretieren waren als andere oder eine besondere Herausforderung darstellten?
Ja, ich habe dieses Mal zum Beispiel auch eine richtig heftige Bebop-Nummer im Programm, eine sehr virtuose Jazz-Form. Das konzertreif auf die Bühne zu bringen, ist nicht so einfach. Das heißt, die Leute dürfen auch schon darüber staunen, was ich so kann, und über die Art und Weise, wie ich das dann im Konzert unterbringe.
In Ihrem Buch heißt es einmal: „Wo stehe ich, wo will ich hin?“ Das ist natürlich eher eine Frage für den Anfang einer Karriere, aber wie würden Sie sie heute beantworten? Sie gelten als erfolgreichster deutscher Live-Pianist, haben bereits diverse Musikprojekte wie die „Söhne Hamburgs“ realisiert und arbeiten weltweit als Kulturbotschafter. Gibt es Projekte, die Sie noch angehen möchten, oder Länder, die Sie noch sehen wollen?
Natürlich gibt es noch Orte, wo ich unbedingt hinwill. In Südamerika war ich noch nie. Wenn ich wieder reisen darf, ist das eigentlich die beste Nachricht. Aber ehrlich gesagt, ‚Projekt‘ ist genau das richtige Stichwort. Meine Familie sagt immer: „Du musst immer ein Projekt haben.“ Ich bin wirklich ein Projekt-Typ und das macht mir auch wirklich Spaß. Zum Beispiel baue ich mit meinen Kindern gerade einen Camper aus. Im Grunde ist es das, was für mich das ganze Leben ausmacht. Man will nicht immer die eingetretenen Pfade gehen, sondern auch neue lustige, gehaltvolle, emotionale und spontane Momente erleben. Und da steht jetzt auch einiges an: Projekt, Projekt, Projekt. Aber Konzerte bleiben mein Leben.

Wir können also gespannt sein und uns zusammen mit Joja Wendt auf die künftigen Konzerte freuen!

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